Seiten

Montag, 20. April 2015

Infobrief: Wer jetzt keine Aktien hat, war in der Vergangenheit doof..

Wochenlang kannte der DAX nur eine Richtung: Von Mitte Oktober bis Mitte März ging es um sage und schreibe 42 Prozent aufwärts, allein 24 Prozent seit Jahresbeginn. Zeitweilig herrschte so etwas wie "Kaufpanik": Kleinste Kursrücksetzer wurden sofort wieder für Käufe genutzt – und jeder Kursanstieg schien weitere Aktienkäufer auf den Plan zu rufen. So ein "Herdentrieb" wird im Fachjargon "prozyklisch" genannt: Anleger erkennen einen Trend und "springen auf den anfahrenden Börsenzug auf". Dazu sollte man sich vor Augen halten, dass die europäischen Aktienmärkte, darunter auch der deutsche, 2014 eher in einer Seitwärtsbewegung auf und ab gependelt hatten. Mitte Oktober 2014 hatten sie ihre Jahrestiefs markiert, so dass es noch im vergangenen Herbst eher nach einem Abwärtstrend als nach einem Aufwärtstrend ausge-
sehen hatte. Der starke Kursaufschwung, die "Kursrallye", überraschte deshalb viele. "Die Hausse nährt die Hausse" lautet eine Börsenweisheit: Die steigenden Aktienkurse führen zu mehr Aktiennachfrage und damit zu weiter steigenden Aktienkursen. Dafür lieferten die ersten Monate dieses Jahres gute Beispiele: Neben Anlegern, die aufgrund prozyklischer Kaufsignale "auf den Börsenzug aufspringen" wollten, mussten auch jene Aktien kaufen, die auf fallende Aktienkurse spekuliert hatten. Doch es sind fast nur die Großanleger und Investment-Profis, die vom Kursaufschwung profitieren. Die Mehrheit der deutschen Privatanleger wurde von diffusen Ängsten und Vorurteilen gehindert, Geld gewinnbringend und langfristig sicher in Aktien anzulegen.

Nach zehn Wochen mit Kursgewinnen schwächte sich der Aufwärtstrend im Laufe des März etwas ab.
In der zweiten Monatshälfte pendelten deutsche Aktien überwiegend seitwärts, der DAX um 12.000. Einen stärkeren Rückschlag von zumindest fünf, vielleicht zehn Prozent gab es aber nicht. Eine Welle sogenannter "Gewinnmitnahmen" blieb bislang aus. Als "Gewinnmitnahme" bezeichnet man den Verkauf durch Anleger, die ihre entstandenen Kursgewinne realisieren wollen. Nach 20 bis 40 Prozent Kursanstieg binnen weniger Monate sollte es eigentlich viele Anleger geben, die mit Gewinn verkaufen möchten. Dann allerdings würden sie wieder zum immer noch großen Lager jener zählen, die nicht investiert sind, die nicht oder schlecht verzinste Bankguthaben vor sich herschieben. Es ist vor allem dieser Mangel an Anlagealternativen, der weiterhin für Aktien spricht. Solange die Zahl jener groß bleibt, die eigentlich in Aktien investieren wollen, dafür aber auf deutlich niedrigere Kurse warten, wird es die erhofften niedrigen Einstiegsgelegenheiten nicht geben: "Wer jetzt keine Aktien hat, war in der Vergangenheit doof.", stellte dazu kürzlich der Ökonomie-Professor Bernd Raffelhüschen fest. 90 Prozent der Menschen seien ökonomische Analphabeten. Sie schauten jetzt in die Röhre, weil sich auf Sparkonten angelegtes Geld nicht vernünftig verzinse.

Die Kursrallye der vergangenen Wochen liefert gleichzeitig ein weiteres Beispiel dafür, dass entgegen eines Vorurteils an den europäischen Aktienmärkten Kursgewinne möglich sind, während gleichzeitig an der Wallstreet Kursverluste überwiegen. Auch als es am US-Aktienmarkt zwei Wochen in Folge bergab ging, setzte sich der Kursaufschwung in Europa fort. Diese ungewohnte Gegenbewegung ist noch nicht einmal Zufall, sondern zeigt vielmehr die Veränderung in den Depots vieler global handelnden Investoren: Sie verringern ihre Bestände in bisher meist präferierten US-Aktien zugunsten bisher oft wenig vertretener kontinentaleuropäischer Aktien. Diese Umschichtungen sind überfällig und dürften sich noch fortsetzen: Das Gewinnwachstum bei US-Unternehmen bleibt nicht so gut, während europäische Unternehmen beste Chancen haben, ihre Gewinne zu steigern. Die Schätzungen für das Wachstum der amerikanischen Unternehmen wurden in den vergangenen Wochen deutlich nach unten korrigiert. Ging man bis in den Herbst hinein stets von zweistelligen jährlichen Wachstumsraten bei "Corporate America" aus, wird nun im Durchschnitt sogar ein Gewinnrückgang erwartet. Das spricht nicht grundsätzlich gegen alle US-Aktien, denn es gibt genug Ausnahmen. Unterm Strich sorgen aber vor
allem der gestiegene US-Dollar und die Probleme der Ölwirtschaft mit dem gefallenen Ölpreis für Probleme.

Trotzdem hat auch der Dow Jones Industrial Average erst Anfang März ein neues Rekordhoch erreicht und seinen intakten mittelfristigen Aufwärtstrend damit bestätigt.  Der populäre Aktienindex enthält mit Chevron und Exxon Mobil die Aktien von zwei großen Ölkonzernen, deren Kurse seit Mitte vergangenen Jahres unter dem rückläufigen Ölpreis leiden. Mit der jetzt gerade erfolgten Aufnahme von Apple in den Kreis der 30 Dow-Jones-Aktien wurde allerdings ein weiterer Schritt der Anpassung an die wirtschaftliche Wirklichkeit vollzogen: Mit einem aktuellen Börsenwert von 743 Milliarden Dollar ist Apple das mit Abstand wertvollste Unternehmen der Welt.


DRILL, BABY, DRILL! DER ÖLPREIS BLEIBT NIEDRIG
Als die Ölpreise im vergangenen Herbst ins Rutschen gerieten, glaubten nur wenige an eine dauerhafte Veränderung des Preisniveaus. Vom Autofahrer an der Tankstelle bis zum professionellen Rohstoff-Investor herrschte die Meinung vor, der Preisrückgang sei nur vorübergehend, ein Wiederanstieg auf 100 Dollar pro Barrel nur eine Frage der Zeit. Rund ein halbes Jahr später sieht es nicht danach aus. Die Rohölpreise sind nach dem Versuch einer Stabilisierung wieder auf Talfahrt gegangen. Und Gründe dafür gibt es viele. So erklärte jüngst der weltgrößte Ölexporteur, Saudi-Arabien, dass seine Fördermenge derzeit nahe dem Rekordvolumen von fast 10 Millionen Barrel pro Tag läge. Das Angebot aus dem Nahen Osten könnte sogar noch größer werden, wenn der Iran an den Ölmarkt zurückkehren darf. Aufgrund des Atomrüstungsprogramms wurde das Land mit Sanktionen belegt, die die wirtschaftliche Misere des Landes vergrößern. Teheran würde nur allzu gerne mit Ölexporten Deviseneinnahmen erzielen. Bis zu eine Million Barrel Öl pro Tag könnten aus dem Iran schon kurzfristig auf den Weltmarkt kommen, wenn das Land im Nuklearstreit eine Einigung mit den USA und deren Verbündeten erzielt. Dabei ist der Markt bereits
mehr als gesättigt.

Die Ölförderung in Nordamerika mittels neuer Technologien (Fracking, Horizontalbohrtechniken etc.) hat die Regeln dauerhaft verändert: Früher verknappte die Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC) ihr Angebot, um die Preise zu stabilisieren. Im vergangenen November beschloss die OPEC aber, ihre Produktion trotz des weltweiten Überangebots nicht zu reduzieren. Daran wollen sich
die 12 Mitglieder des Kartells, das 40 Prozent des Rohöls der Welt fördert, auch weiterhin halten. Mit dem Preiskampf soll die in den USA entstandene Ölförderung in die Knie gezwungen werden.

Auch außerhalb der OPEC wird eher mit einem größeren Ölangebot als mit einer
Verknappung auf den niedrigen Ölpreis reagiert.
Tatsächlich musste die US-Öl-Wirtschaft den Rückwärtsgang einlegen. Von über 1.600 Bohrtürmen in den USA wurde fast die Hälfte schon stillgelegt. Für die verbliebenen gilt aber umso mehr "Drill, baby, drill!": Mit einer täglichen Fördermenge von gut 9,4 Millionen Barrel pro Tag wird in den USA so viel Öl gefördert wie seit November 1972 nicht mehr, als die
konventionelle Ölförderung in den USA ihren Zenit überschritten hatte. Auch die Menge russischen Rohöls auf dem Weltmarkt dürfte weiter steigen. Die kleineren russischen Raffinerien, die Rohöl überwiegend in Brennöl umwandeln, verringern ihre Produktion, weil die inländische Nachfrage aufgrund der Rezession fällt und die Subventionen für Brennöl-Exporte sinken. Das dadurch nicht in Russland verarbeitete Rohöl drängt zusätzlich auf Weltmarkt. Der Ölpreis fiel in den USA jüngst auf ein neues 6-Jahres-Tief unter 45 Dollar /
Barrel. Bis sich der Preiskampf auf die Fördermengen in den USA auswirkt, vergeht mehr Zeit als Saudi-Arabien und den anderen Ölexporteuern lieb sein kann. Ein Schuldenberg von über 400 Mrd. Dollar zwingt viele "Fracking-Unternehmen" solange wie möglich weiter zu machen. Die US-Ölreserven sind auf den höchsten Stand seit Januar 1984 gestiegen: Neben knapp 700 Millionen Barrel strategischer Ölreserven
lagern in den USA gegenwärtig gut 450 Millionen Barrel. Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur droht damit die Lagerkapazität ihre Grenze zu erreichen. Am wichtigsten Lagerort für Öl in Nordamerika, dem Pipeline-Knotenpunkt Cushing, sind kaum noch Tanks frei.

Die Erwartung, der Ölpreis werde sich rasch erholen, erweist sich zunehmend als Wunschtraum derer, die Öl fördern oder in Öl investiert haben. Der Preiskampf auf dem Weltmarkt dürfte noch länger anhalten. Für Verbraucher weltweit bedeutet das eine finanzielle Entlastung, womit die Effekte auf die Weltkonjunktur per Saldo positiv ausfallen. Als vor wenigen Monaten die Wirtschaftsnachrichten vermeldeten, große Investoren würden ganze Öltanker mieten, um darin billiges Rohöl zu lagern, das man dann zu höheren Preisen wieder verkaufen wolle, mag sich manch einer gewünscht haben, er könne das ähnlich machen. Doch die Rechnung ist nicht aufgegangen.

Dass die Benzinpreise an den Tankstellen hierzulande wieder etwas gestiegen sind, ist nicht auf den Weltmarktpreis für Öl zurückzuführen, sondern auf den schwächeren Euro. Der im Verhältnis zum Dollar gesunkene Wechselkurs der europäischen Gemeinschaftswährung macht Importe zwar teurer, hilft aber den europäischen Exporteuren. Ein Grund mehr, statt auf einen raschen Anstieg des
Ölpreises zu spekulieren lieber in Aktien zu investieren.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen